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Pressebericht der HZ vom Montag, 4. Juli 2016

„Ein Sittenbild mit Musik“
„Schillers Freu(n)de haben mit „Baden gehen“ eine lebendige sozialkritische Inszenierung geschaffen

„Ein Sittenbild mit Musik“ – man durfte sich bei der etwas konservativen Beschreibung des Theaterstücks „Baden gehn“ nicht täuschen lassen: Wachsende Armut, gleichzeitig enorme Zunahme von Superreichtum, Radikalisierung und die plötzliche Aktualität durch den schon fast greifbaren Zerfall Europas verliehen dem Stück eine explosive Brisanz, die von den jungen Darstellern mit enormer Bühnenpräsenz spannend wie nachdenklich vorgetragen wurde.

Der Beginn mit einer Bildpräsentation von Obama 2009, Bilder von Flüchtlingen, rechtem Mob, der Asylbewerber einschüchtert – man wurde vorbereitet auf ein Stück, das ohne Schwarzweißmalerei auskommt.

Die frühpensionierte Lehrerin Ingela und ihr Pensionistengatte Walter, sehr eloquent und mit präziser Artikulation, aber leidenschaftlich von Maike Otto und Julian Skobic verkörpert, werden als neue Vertreter der Ausbeuterklasse dargestellt. „Steinreich“ seien sie laut der wohnsitzlosen Lea, von Charlotte Bendler mit lebhaftem Gestus verkörpert.
Der „Rentnerhassersong“ bezeichnete die Rentner „schlimmer als hundert Milliardäre“ und schließlich auch die „bestbezahlten Pauker dieser Welt, erschöpft von 180 freien Tagen im Jahr“, bekamen ihr Fett  weg.
Doch zunächst standen alle Badegäste vor verschlossener Türe. Die beiden Bademeister (Katharina Schorl und Lara Krafft) brauchten sich um ihren Job keine Sorgen zu machen. „Betriebsbedingte Kündigungen sind verboten“. „Arbeitsplatzbesitzer“ gegen Arbeitslose auszuspielen scheint ja politisch gewollt; und so verschoben sich im Stück die Werte dieser Pleitegesellschaft. Saskia Britz als Jessica, Au pair aus Minsk, wähnte sich hier im Paradies, obwohl Sex ihr ganzes Kapital war und man ohne Geld „ein Arsch“ sei.
Schwesternschülerin Kati (Alina Britz) sah ihre Chance, einen reichen Arzt zu heiraten, den „man nachher wegwerfen kann“.
Die zum Teil recht drastische Sprache zeigte aber eine ernüchternde wie entwaffnende Ehrlichkeit. Die Akteure überzeugten durch Lebendigkeit und Spielwitz.
Marcel Leipi als Hauptmann der Reserve und Schwarzarbeiter Marcus Meier hatte den Befehlston immer noch drauf; und Dennis Kurtal als arbeitsloser Türke Ergün mit deutscher Frau definierte seinen Mannesstolz nur über Arbeit, aber es blieb ihm nur „zu Aldi gehen, ein paar Getränke holen, Ich-AG-mäßig“.
Sebastian Luccio als gescheiterter Startup-Unternehmer John hatte nur noch  Zynismus für sich und andere übrig. Hannes Langhans als Arbeitsloser Leo glänzte als desillusionierter Pfandflaschensammler. „Warum habt ihr uns geboren“? war nicht der einzige Song, der die Fragwürdigkeit  und Perspektivlosigkeit in der Existenz nicht nur der arbeitslosen Sandra (Manuela Grelka) und ihres ebenfalls arbeitslosen Sohnes Lutz (Francesco Virolde) treffend  thematisierte.
Durch die stimmige musikalische Begleitung der Band (Leitung Lydia Schulz-Velmede) mit klagenden Klarinettenfiguren von Ann-Kathrin Benning, düstere Saxophonlinien von Maxima Gebhardt und Linus Monz, aber auch den sensiblen wie kräftigen Schlagzeugrhythmen von Constantin Balle erhielt das Stück noch mehr Lebendigkeit und spielerischen Drive. Das dezente Cello von Lukas Boorz und das Piano von Nathanael Koloska  trugen zur Ausdrucksstärke bei.
Dass der resignierende John ein Baby findet, macht Ergün wütend. „Was ist mit deutschen Frauen los?“ „Babyklappen gab es damals noch nicht“, beschied Sandra ihrem Sohn, dem sie wohl dieses Schicksal zugedacht hätte.
Man wusste oft nicht, ob man eher lachen oder nachdenklich sein wollte. Die Fülle der Pointen erschlug einen fast, etwa: „Geld macht allein nicht glücklich, man muss es auch haben“, die Aussagen und Erlebnisse bei diesem Stück ließen niemanden unberührt. Ja, da war sogar die Rede von „Summerhill“. Wer kennt noch diese Pilgerstätte der antiautoritären Bewegung von 1968?
Für Zeitgenossen dieser Epoche eine richtige Freude, aber die ganzen „Antis“ sind ja jetzt alle arbeitslos, so Laurin Rupp als quirliger jobsuchender Uniabsolvent Alex.
„Schillers Freu(n)de spielten mit einer ungeheuren Intensität und machten für zwei Stunden neugierig und betroffen. Da gab es keine „Durchhänger“ und alles sprühte und blitzte, dass es eine Freude war. „Armut schaut durchs Fenster, sieht scheiße aus. Trotzdem – lass uns baden gehen.“
So sieht spannendes Theater aus: Ernste Thematik mit einem Wegzeichen der Hoffnung – ganz im Sinne Ernst Blochs.

Hans-Peter Leitenberger