Rettender Sprung ins Leben
Intensives Spiel und viel
Situationskomik: "Schillers Freunde" zeigen "Norway.today"
Mit Selbstmord wird
gemeinhin Depression assoziiert, als dass der Gedanke an gute Unterhaltung
aufkäme. Dass auch dies dennoch kein unauflösbarer Widerspruch sein muss,
bewiesen "Schillers Freunde" mit ihrer Inszenierung von "Norway.today",
die bei der Premiere am Mittwoch in der WCM nicht nur Betroffenheit,
sondern auch Amüsement und Heiterkeit und deshalb tosenden Applaus
auslöste.
Das Stück selbst lebt von
Widersprüchlichkeit: Zwei Menschen, die den Tod suchen, entdecken das
Leben. Zwei Menschen, die im Grunde allein sein wollen, entdecken das
Zusammensein. Aus "am Leben sein" wird "im Leben sein" - und das, obwohl beide nur noch eines
vom Leben wollten: den Tod.
So beinhaltet das
Zwei-Personenstück von Igor Bauersima bereits eine faszinierende
Bandbreite an Emotionen, die freilich am Anfang alle in den Gedanken an
Freitod münden. Doch nach und nach setzen Gespräche, die das klägliche
Scheitern beim Dreh eines Abschiedsvideos, aber auch die beständige und
unausweichliche Nähe eines Gegenübers andere Gedanken frei - Gedanken an
ein Leben, das weitergeht.
Auch das klingt einmal
zunächst wieder sehr traurig, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Laura Weber
und Niklas Goldberg spielen die selbsternannten Todeskandidaten Julie und
August mit ungeheurer Vitalität und Überzeugungskraft und setzen der
Gefahr der Dialog-Lastigkeit des Stückes eine Menge an Körpereinsatz
entgegen. Das ist eine großartige Leistung, schließlich stehen sie knapp
zwei Stunden ohne Pause ununterbrochen auf der Bühne, nie schwächelnd, nie
nachlassend.
Und ihre zuweilen
hochexplosiven Dialoge strotzen vor Erkenntnis, die ihre Figuren beim
Betrachten des Lebens, nicht etwa beim Leben selbst gewonnen haben. Ob
etwa das Geschehen echt sei oder nur so tut, ob die Gesellschaft nicht
schon bedinge, dass ein Einzelner nicht mehr wahr sein könne, ob die
Vernunft nicht das Unvernünftigste ist - so reflektieren die beiden,
Gedanken, aus der Einsamkeit sprießend, aus Unkenntnis und Hilflosigkeit,
gepaart mit hoher Intelligenz.
Nirgends wird das deutlicher in der Inszenierung als beim Liebesakt der beiden
Todessehnsüchtigen: Ein rein verbaler Liebesakt vollzieht sich da vor den Augen
der Zuschauer, Julie und August sprechen, in großer Distanz, von den Berührungen
und Zärtlichkeiten, die sie einander geben wollen in Sätzen, die sie vielleicht
im Fernsehen gehört, in einem Buch gelesen haben.
Dass in dieser bizarren Szene nicht nur das Verlassensein, sondern auch ein
beachtliches Maß an Erotik vermittelt wird, das ist abermals der
Eindringlichkeit von Laura Weber und Niklas Goldberg zu verdanken, die hier ganz
offensichtlich stets auf die sichere Führung von Regisseur Dr. Hans-Peter
Geldberg vertrauen durften.
Der Einsatz von Kamera und Beamer ist ein zusätzliches Plus der Inszenierung, die so
stets die Spannung aufrecht erhält. Eine Spannung, die sich erst ganz am Schluss
buchstäblich in Wohlgefallen auflöst, wenn nämlich der beabsichtigte Sprung in
den Tod zum Gegenteil verkehrt wird: zum Sprung ins Leben, das (so mag die
Quintessenz des Stückes lauten) nicht nur gedacht und diskutiert, sondern gelebt
werden will.
Das
gesamte Ensemble hat eine Inszenierung geschaffen, die eine ganze Menge bietet:
gutes Spiel, viel Nachdenkenswertes, aber auch jede Menge Situationskomik, eine
Mischung, die dem Publikum in jedem Fall eine gelungene Abendunterhaltung
bietet.
Marita Kasischke in der Heidenheimer Zeitung vom 30. 4.
2010
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