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Pressebericht
vom Donnerstag, 10. November 2011
Überzeugende Premiere:
Mit Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ macht die
Theater-AG des Heidenheimer Schiller-Gymnasiums eine gute Figur.
Der Preis der Menschlichkeit Packend: Die Theater-AG des
Schiller-Gymnasiums spielt „Der Besuch der alten Dame“
Was ist Moral? Was ist Gerechtigkeit? Wie verführbar ist Idealismus?
Allerlei Fragen wirft die Inszenierung von Dürrenmatts „Besuch der alten
Dame“ von „Schillers Freu(n)de“ auf, wie sich bei der viel beklatschten
Premiere am Dienstagabend in der WCM zeigte.
Dabei erhebt das Ensemble unter der Leitung von Dr. Hans-Peter Goldberg in
dieser scheinbar leichthin fließenden Komödie zu keinem Zeitpunkt den
moralischen Zeigefinger, nein, ganz unaufdringlich, unterschwellig wird der
Zuschauer hineingezogen in die Geschichte aus Liebe und Verrat, Rache, Macht
und Geld, eine Geschichte, die gleichermaßen unterhält wie aber auch bis zur
Unbequemlichkeit nachdenklich macht.
Großen Anteil an der Intensität der Inszenierung hat Katja Domberg: Sie
stellt die alte Dame Claire Zachanassian durchweg kühl und distanziert,
berechnend und skrupellos dar und lässt doch immer wieder die
Verletzlichkeit durchscheinen, die die Wunden von einst hinterlassen haben.
Sie versteht es sogar, gefühllos zu wirken und dennoch zu suggerieren,
welches Vergnügen ihr der Gerechtigkeits-feldzug bereitet, den sie sowohl mit
kapitalistischen Mitteln
als auch den Waffen einer Frau zäh, klug und unerbittlich verfolgt.
War ihr einstiger Liebhaber und Urheber des Übels zu Beginn des
Besuchs noch der irrigen Überzeugung, alte Erinnerungen in geldwerten
Vorteil zu verwandeln, so muss er bald feststellen, dass Claire nichts
anderes als seine Vernichtung im Schilde führt. In der Rolle dieses Alfred
Ill überzeugt Valentin Goldberg: Immer tiefer wird sein Fall, als er
schließlich erkennen muss, dass er tatsächlich vom allseits beliebten
Wunschkandidaten für das Bürgermeisteramt zum Verfolgten der Meute wird.
Valentin Goldberg lässt seinen Ill diese Wandlung sehr verinnerlicht
vollführen und nimmt doch den Zuschauer mit, der hin- und hergerissen ist
zwischen Verständnis und Verachtung für den mehr und mehr Verlorenen. Dass
bei den gut über zwanzig Ensemblemitgliedern nicht alle auf gleichem Niveau
agieren, ist verständlich, dennoch verstehen sie es, die Lust am Zuschauen
nie abreißen zu lassen. Besonders hervorgehoben werden muss aber auch Fabian
Schottky, der in seiner Rolle als Lehrer nicht nur beachtlich einen
Betrunkenen spielt, sondern auch durch eindringliches Spiel anschaulich
macht, wie die Verführung ansetzt und selbst den stärksten Humanisten
umhauen kann.
Die Theater-AG des Heidenheimer Schiller-Gymnasiums hat Dürrenmatts
tragische Komödie in den Kontext der Finanzkrise gesetzt, indem sie einen
Prolog aus Nachrichten, Börsenkursen und hektisch agierenden Menschen
vorangestellt hat. Der Kontext geht auf, und das, ohne Dürrenmatts Text
wesentlich zu verändern. Denn die Nachdenklichkeit, die das Publikum nach
Genuss dieser Inszenierung erfasst, entspringt auch dem Gedanken, dass vor
der Verführung, die offenbar sowohl im Wirtschaftswunder als auch in
Krisenzeiten funktioniert, vielleicht niemand gefeit ist, weil Sitte,
Menschlichkeit und hehre Absichten immer auch schwankenden Anschauungen und
Börsenkursen unterliegen – und letztlich eben
eine Frage des Preises sind.
Die Brechtsche Einschätzung „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ wird in
dieser Inszenierung deutlich gemacht. Dass sie dabei sehr gefällig in
Dramaturgie, Spiel, Requisite und Musik daherkommt, sollte nicht täuschen:
Diese Inszenierung bebt nach.
Marita Kasischke |
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